„Il Palio“ Pferderennen in Siena: Eine Stadt außer Rand und Band

„Schon länger als eine halbe Stunde sieht jetzt der Anwalt Maggioni aus diesem Fenster, und immer noch zieht unter ihm unendlich langsam der Zug vorbei, der den traditionellen Palio von Siena eröffnet.“ So gelesen im Roman „Der Palio der toten Reiter“ vom bekannten Literaturduo Fruttero und Lucentini. Es ist eine rasante Geschichte von Leidenschaft und Stolz, Geschichte und Kampf, Sieg und Niederlage. Warum ich euch das erzähle? Dreh- und Angelpunkt der Geschichte ist der Palio, das sagenhafte Pferderennen, das zweimal im Jahr im italienischen Siena stattfindet. Eine Stadt in der Toskana, die zwar klein sein mag, jedoch mit einer Strahlkraft, die weit über die Ferienregion in Italien hinausgeht. In diesem Blogartikel erzähle ich euch alles zu dem traditionsreichen Event, das am 02. Juli und am 16. August innerhalb der Stadtmauern Sienas stattfindet und für Furore sorgt.

„Il Palio“ ist mehr als nur ein Pferderennen

Dass die Italiener leidenschaftliche Fußballfans sind und mit ihren Lieblingsclubs leben und leiden, war mir bisweilen durchaus geläufig. Die Bürger von Siena legen allerdings nochmal eine Schippe drauf, wenn es um Lokalpatriotismus und Gruppenzugehörigkeit geht. Siena ist in 17 sogenannte Contraden aufgeteilt, die die Bürger des jeweiligen Stadtviertels umfassen. Beim „Il Palio“ auf der historischen Piazza del Campo treten genau diese Contraden im Pferderennen gegeneinander an. Wer jetzt Bilder vom britischen Ascot-Rennen im Kopf hat, sollte sich lieber von der Vorstellung eines gepflegten Pferderennens mit ausgefallenen Kopfbedeckungen verabschieden. In Siena geht es zur Sache: Das Palio ist wild, laut, eng und vor allem ein großartiges Erlebnis, das jeder einmal bei einem Toskana-Urlaub mitgemacht haben sollte.

Vier Tage vor dem großen Ereignis verwandelt sich die Piazza del Campo in eine Arena. Der Platz ist das Herzstück der Stadt in der Toskana und Austragungsort des Pferderennens. Ja, richtig gelesen: Zehn Reiter heizen mit ihren Pferden auf einer etwa 300 Meter langen und siebeneinhalb Meter breiten Rennbahn um den Platz. Tribünen werden ringsherum für die Zuschauer errichtet, der muschelförmige Platz mit einer Sandmischung bedeckt und die Stadt mit Fahnen und Wimpeln der Contraden geschmückt. Die Spannung der Sienesen lässt sich förmlich greifen: Vor den Trattorien werden in jeder noch so engen Gasse lange Tische und Bänke aufgestellt, an denen Gäste sitzen, feiern und ein Glas toskanischen Weines genießen können. Ob schon erste Wetten abgeschlossen werden, welche Contrade gewinnt? Tatsächlich wettet man beim Palio-Pferderennen nicht, denn das bringt der Sage nach Unglück. Stattdessen werden die Pferde vor dem Rennen gesegnet. Das Palio-Fest ist immerhin der Schutzpatronin der Stadt, der Jungfrau Maria, gewidmet.

Die Contraden von Siena

In der Sache vereint, in den Farben getrennt – so könnte man die Stimmung beim Il Palio wohl am ehesten beschreiben. Es beginnt mit dem feierlichen Einzug der Contraden in die Arena: Zunächst trägt ein Page die jeweilige Flagge der Contrade voran, dahinter wird das Rennpferd in die Arena geführt. Schließlich folgt der Rennreiter auf einem weiteren Pferd, das aber nur zu Paradezwecken geritten wird. Nach den Contraden wird ein Fahnenwagen eingefahren, auf dem sich der sogenannte Palio (lat. pallium = Tuch, Umhang; später Flagge, Fahne), eine Standarte befindet. Der Palio wird jedes Jahr neu gestaltet und an den Gewinner des Rennens überreicht. Nicht immer hat jede Contrade eine Chance auf den Sieg: Von den insgesamt 17 Contraden nehmen nur zehn am Rennen teil; nämlich immer die sieben, die beim letztjährigen Palio-Rennen aussetzen mussten plus drei Contraden, die ausgelost werden. Die beiden Rennen im Juli und August werden jedoch getrennt voneinander gelost und so kann es vorkommen, dass Contraden an beiden Rennen teilnehmen können.

Siegestaumel oder bittere Schmach?

Losglück brauchen die Contraden auch bei ihren Rennpferden: Ein unabhängiges Komitee trifft aus 60 Rennpferden eine Vorauswahl, aus der nach einigen Vorrennen die besten zehn Pferde bestimmt werden. Welche Contrade welches Pferd erhält, ist pures Glück und nur gerecht – so haben auch ärmere Stadtteile die Chance auf ein gutes Pferd, welches sie sich andernfalls nicht leisten könnten. Doch überhaupt geht es beim Palio nicht um Geld, sondern um Ruhm und Ehre. Oft ist der eigene Sieg zweitrangig, wenn nur die verfeindete Contrade nicht gewinnt. Das spornt natürlich an – auch die Jockeys, welche ebenfalls unabhängig von der Contrade stehen und aus ganz Italien beauftragt werden, um an dem Rennen teilzunehmen. Sie sind sich des Risikos bewusst, das sie eingehen: Die „Fantini“, also die Reiter, dürfen sich beim Pferderennen nämlich durchaus gegenseitig hindern und Seitenhiebe austeilen. Dabei kann es passieren, dass ein Reiter vom Pferd fällt, was schmerzhaft wäre. Darüber hinaus hat es aber keine Auswirkungen: Auch wenn ein Pferd ohne Reiter als erstes ins Ziel läuft hat es gewonnen, vorausgesetzt es trägt noch das Diadem der Contrade auf der Stirn. Erst der Verlust des Diadems würde das Pferd zu jeder Zeit vom Rennen disqualifizieren.

100 Sekunden Adrenalin beim Pferderennen von Siena

Das Rennen selbst ist ein kurzes Intermezzo: Vor der mittelalterlichen Kulisse der Altstadt Sienas werden auf der Piazza del Campo drei Runden gelaufen. Der Startschuss fällt mit dem Einreiten des zehnten Reiters auf die Startposition, und ab da brauchen die schnellsten etwa 100 Sekunden bis ins Ziel. Das laute Geklapper der Hufe wird nur durch die tobende Menge an Menschen übertönt, die ihre Reiter anfeuern und um die Wette fiebern. Kurz darauf ein Aufschrei – der Sieger steht fest. Eine Stadt im Freudentaumel: In Siena wird ab jetzt mehrere Wochen lang gefeiert. Stolz werden Wimpel und Fahnen geschwenkt und der Palio überreicht. Wer Zweiter ist, erleidet die echte Schmach, denn traditionell ist diese Platzierung sogar schlechter als die letzte des Rennens. Bis zum nächsten Mal, wenn das Spektakel von vorn losgeht.

Das Il Palio-Pferderennen gehört definitiv zu den Geheimtipps der Toskana und ist wahrlich ein sehenswertes Kulturereignis – und wer bereits seinen Sommerurlaub in der Urlaubsregion Toskana plant, sollte sich dieses Highlight definitiv nicht entgehen lassen. Bis dahin empfehle ich die erwähnte Lektüre und mache mich ganz im Sinne des berühmten Pferderennens nun wieder „aus dem Staub“ – wir sehen uns diesen Sommer in Italien, wenn nicht in Siena, dann vielleicht an der Amalfiküste.

 

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2 comments

  1. Ragazza del Palio !

    „…da lei vien l’animosa leggiadria
    ch’al ciel ti scorge per destro sentero,
    sí ch’i‘ vo già de la speranza altero…“

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